In der Süddeutschen Zeitung konnte man gestern lesen, dass die Kinderarmut in Deutschland erheblich gesunken sei – von September 2006 bis September 2011 seien 257 000 Minderjährige unter 15 Jahren weniger im Leistungsbezug, wie die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt hatte. Nun rudert die Zeitung aufgrund der Intervention des Paritätischen Gesamtverbands zurück: Die absolute Zahl sage nichts über den Anteil armer Kinder aus, so sei der Anteil von Unter-15-Jährigen im Hartz-IV-Bezug lediglich von 15 % 2006 auf 14,9 % 2011 gesunken. Allerdings gebe es mittlerweile 750 000 Kinder unter 15 Jahren weniger – so schön kann mit Zahlen getrickst werden!
Archiv des Autors: Susanne Gerull
Frauenarmut im Alter
In einer aktuellen Studie der Freien Universität Berlin (FU) weisen Barbara Riedmüller und Ulrike Schmalreck nach, dass Frauen – vor allem aufgrund von Unterbrechungen im Erwerbsverlauf, aber auch durch mehr Teilzeitjobs – im Alter schlechter abgesichert sind als Männer. Dabei haben die beiden Wissenschaftlerinnen in ihrer Untersuchung zu den Lebens- und Erwerbsverläufen von Frauen deutliche Ost-West-Unterschiede feststellen können: Ostfrauen arbeiten häufiger Vollzeit und sind durch die Erwerbstätigkeit der Frauen als „Staatsdoktrin“ (taz von heute) im Alter im Vorteil. Ihre Auswertung von Daten der Deutschen Rentenversicherung zeigt dabei auch begünstigende und hemmende Faktoren einer eigenständigen Alterssicherung der Frauen auf.
Link zur Studie
Neuer Integrationsbericht zeigt weiterhin deutlich erhöhtes Armutsrisiko bei Migrationshintergrund
Wie der zweite „Integrationsindikatorenbericht“ der Bundesregierung zeigt, liegt die Armutsrisikoquote der Bevölkerung mit Migrationshintergrund mit 26,2 % deutlich über der der Gesamtbevölkerung mit 14,5 %. Auch der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer, die auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen sind, sei mit 20,9 % mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (9,4 %), jeweils Stand 2010. Der über 250 Seiten starke Bericht beleuchtet detailliert die Lebenslagen von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Wie die Integrationsbeauftragte Böhmer in ihrem Vorwort feststellt, bestehen noch deutliche Unterschiede zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund, was die Teilhabe angeht. In vielen Bereichen wie der Bildung seien aber auch deutliche Fortschritte erzielt worden .
Neues zum Jahreswechsel
Der Armutsblog hat zum Jahreswechsel eine längere Urlaubspause eingelegt und meldet sich mit den letzten Neuigkeiten zum Thema Armut aus 2011 sowie den ersten aus 2012 in Stichworten zurück:
*Laut einer britischen Studie gelingt es benachteiligten Kindern in Deutschland kaum, über Bildung aufzusteigen (Berliner Zeitung vom 8.12.11)
*Geringverdiener/-innen sterben laut Interpretation von BA-Daten durch die Linkspartei früher als andere (taz vom 13.12.11)
*Das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen ist in Deutschland laut einer Unicef-Studie regional ungleich verteilt – In Baden-Württemberg geht es ihnen am besten, in Bremen am schlechtesten (taz vom 17./18.12.11)
*Die Ungleichheit der Gesellschaft muss laut dem Chicago-Ökonom Raghuram Rajan nicht hingenommen werden (FAS vom 8.1.12)
*In Deutschland sind Erwerbslose laut Daten von Eurostat im EU-Vergleich besonders von Armut betroffen (Berliner Zeitung von heute)
Zum Lesen gibt es abschließend ein Dossier von zwei Zeit-Redakteur(inn)en, die als „Maria und Josef im Ghetto des Geldes“ versucht haben, als obdachloses Paar verkleidet im Taunus Hilfe zu erhalten.
Verfestigung der Armut in Deutschland
Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPW) hat einen Armutsbericht mit den Daten des Statistischen Bundesamtes von 2005 bis 2010 vorgelegt, der eine „Verfestigung der Armut auf Rekordniveau“ (Pressemitteilung DPW) zeigt. So sei die Armut auch in Jahren mit starkem Wirtschaftswachstum nicht zurückgegangen. Einen Negativtrend gebe es in den Bundesländern Berlin und Nordrhein-Westfalen, zudem wird das Ruhrgebiet als neue Armutsregion ausgemacht. Der DPW fordert die Bundesregierung zu einer glaubhaften Bekämpfung der Armut auf, u. a. durch die Erhöhung der Regelbedarfe im SGB II, die Erhöhung des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors und die Sicherung der Bildungschancen benachteiligter Kinder und Jugendlicher.
Link zur Pressemitteilung des DPW
Link zum Armutsbericht des DPW
Langzeitstudie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit abgeschlossen
Die Langzeitstudie des Forschungsteams um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist nach 10 Jahren abgeschlossen. Während Antisemitismus, Homophobie und Sexismus im Vergleich zu den Vorjahren abgenommen haben, steigt Rassismus und die Abwertung von Obdachlosen wieder an und auch die hohe Abwertung von Langzeitarbeitslosen ist ungebrochen. In der Studie wird von einem zurückliegenden „entsicherten Jahrzehnt“ gesprochen, in dem Signalereignisse wie der 11. September und schleichende Prozesse wie eine wachsende Orientierungslosigkeit eine unheilvolle Allianz eingegangen seien. Die ForscherInnen machen auf eine „rohe Bürgerlichkeit“ aufmerksam, „die sich bei der Beurteilung sozialer Gruppen an den Maßstäben der kapitalistischen Nützlichkeit, der Verwertbarkeit und Effizienz orientiert und somit die Gleichwertigkeit von Menschen sowie ihre psychische wie physische Integrität antastbar macht und dabei zugleich einen Klassenkampf von oben inszeniert.“ (aus der Pressemitteilung)
SPD möchte Geld für Kinder umverteilen
Laut Bericht der Tageszeitung (taz) vom Wochenende möchte die SPD Geld für Kinder so umverteilen, dass die Familienpolitik armutsfester wird. Das Kindergeld soll ausgeweitet und im Gegenzug der steuerliche Kinderfreibetrag für Besserverdienende abgesenkt werden. Hintergrund des Vorstoßes, der Anfang Dezember auf dem Parteitag in Form eines Leitantrags verabschiedet werden soll, ist die zz. ungerechte Verteilung im sogenannten dualen System. Zz. sparen HochverdienerInnen durch die steuerliche Entlastung etwa 100 Euro mehr, als KindergeldempfängerInnen zur Verfügung haben. Dies möchte die SPD ändern
Armut und Reichtum ungleich verteilt
Der neue „Verteilungsbericht“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) kommt zu dem Schluss, dass Armut und Reichtum in Deutschland immer ungleicher verteilt ist. Deutschland rutsche immer mehr in eine soziale Schieflage: Die reichsten 10 % hätten ihren Anteil am Nettovermögen im letzten Jahrzehnt von 58 auf 61 % erhöht, aber jede/r Vierte besitze gar kein Vermögen oder sei verschuldet.So warnt Claus Matecki, DGB-Vorstandsmitglied, bei der Vorstellung der Studie: „Unser Wirtschaftssystem ist dabei, seine politische und soziale Legitimation zu verspielen, die auch auf einem für alle wachsenden Wohlstand fußt“.
Link zur Pressemitteilung des DGB mit Downloadmöglichkeit des Berichts
Zahl der Wohnungslosen steigt
Laut aktuellsten Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) ist die Zahl wohnungsloser Menschen erstmals seit Jahren gestiegen: 2010 waren laut BAG W ca. 248.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, 2008 waren es noch 227.000. Zunehmend sind junge Menschen wohnungslos in Deutschland. Als Hauptgründe für diesen Anstieg sieht die BAG W hohe Mieten, Verarmung und Fehlentscheidungen bei Hartz IV an. Ein Skandal ist, dass in Deutschland keine amtliche Statistik zu Wohnungsnotfällen existiert, sodass sozial- und wohnungspolitische Strategien i. d. R. nicht auf der Basis valider Daten beruhen.
Armut in Ungarn ab sofort strafbar
In Ungarn können Wohnungslose zukünftig mit Geldstrafen oder sogar Gefängnis bestraft werden, wenn sie auf der Straße leben. Wie in den Medien berichtet wird, hat die rechtsgerichtete Regierung Ungarns unter dem Vorwand des Schutzes von Wohnungslosen vor dem Erfrierungstod ein entsprechendes Gesetz beschlossen. NGO-VertreterInnen haben nun das Verfassungsgericht eingeschaltet. In Deutschland gibt es dagegen ein einklagbares Recht auf eine Unterkunft bei unfreiwilliger Wohnungslosigkeit. Das Leben auf der Straße ist hier jedoch keine Ordnungswidrigkeit.
Presseberichte (Auswahl):
Berber-Info
Die Presse