Peinlich, peinlich, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) muss die OECD-Zahlen zur Kinderarmut 2009 korrigieren. Plötzlich gab es nicht mehr 16,3, sondern „nur“ 8,3 % einkommensarme Kinder in Deutschland. Das DIW teilt mit, es würde mittlerweile lediglich mit besseren Methoden messen. Zu den Zahlen muss allerdings gesagt werden, dass die OECD von einer Armutsrisikogrenze von 50 % ausgeht – wer weniger als 50 % des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat, gilt als arm bzw. armutsgefährdet. EU-weit wird die Schwelle bei 60 % angesetzt – hier fielen also wesentlich mehr Kinder unter die Armutsrisikogrenze. So oder so wird diese Korrektur die BürgerInnen nicht gerade vom Wert statistischer Zahlen überzeugen – schade, denn ohne diese Daten wüssten wir nicht, wie sich Einkommensarmut in Deutschland und darüber hinaus entwickelt.
Archiv des Autors: Susanne Gerull
Mindestlohn bringt auch der Staatskasse Vorteile
Wie eine Studie von Prognos im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung ergab, sind Mindestlöhne nicht nur für den einzelnen Betroffenen die Voraussetzung für ein Auskommen jenseits der Armutsgrenze, sondern rechnen sich auch für den Staat selbst: Mehreinnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, Einsparungen bei den Ausgaben für die sogenannten „Aufstocker“ im Arbeitslosengeld-II-Bereich. Bei einem Mindestlohn von 5 Euro ergibt sich laut Berechnungen von Prognos ein „fiskalischer Effekt“ von 1,3 Mrd. Euro, bei 12 Euro sind es sogar 24,4 Mrd. Selbst bei einem Negativeffekt durch Beschäftigungsverluste ergibt sich kein Verlust, sondern ein Gewinn. Worüber diskutieren wir also noch?
Kinderarmut wächst länderübergreifend
Wie die OECD in ihrer aktuellen Studie zu Kinderarmut feststellt, wächst diese in fast allen OECD-Ländern an. Im OECD-Durchschnitt sind 12,7 % der Kinder von Einkommensarmut betroffen, in Deutschland sind es 8,3 %. (Achtung: Die OECD setzt die Armutsrisikogrenze bei 50 % des nationalen Durchschnittseinkommens an, EU-weit liegt diese Grenze bei 60 %, der Anteil der Betroffenen läge nach der EU-Konvention also deutlich höher). Empfehlungen der OECD zur Reduzierung der Kinderarmut sind u. a. familienfreundliche Arbeitsplätze in Kombination mit Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder, Erziehungsurlaubsregelungen sowie stärkere Investitionen in frühkindliche Bildung. Für alle Länder liegen Kurzinformationen in der Landessprache vor.
Droht neue Wohnungsnot?
Unter dem Titel „Wohnungsbau in Deutschland 2011 – Modernisierung oder Bestandsersatz“ hat die Kieler „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen“ (ARGE) eine aktuelle Studie vorgestellt, nach der Deutschland eventuell eine neue Wohnungsnot droht. 250.000 neu gebaute Wohnungen seien jährlich erforderlich, u. a. würden bis 2025 ca. 2 Millionen altersgerechte barrierefreien Wohnungen benötigt. Da neben dem Deutschen Mieterbund auch diverse Unternehmen des Baugewerbes zur Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“ gehören, ist das Ergebnis der Studie natürlich durchaus im Sinne der Urheber. Dass es in Deutschland zu wenige – vor allem preiswerte – Wohnungen gibt, ist allerdings längst ein offenes Geheimnis.
Zunahme von Leiharbeit und befristeten Stellen
Wie im aktuellen Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) festgestellt wird, nimmt befristete Beschäftigung und Leiharbeit in Deutschland zu. Die Betroffenen fühlen sich dabei weniger gut in die Gesellschaft integriert als unbefristet Beschäftigte. Auch die „Brückenfunktion“ in unbefristete Arbeit klappt meistens nicht so wie von den Betroffenen erhofft, häufiger kommt es zu sogenannten „Befristungsketten“, einem dauerhaften Verbleib in Leiharbeit oder zu erneuter Arbeitslosigkeit.
Rund 70 Euro weniger für behinderte Menschen im Hartz-IV-Bezug
Wie der „Freitag“ bereits Freitag (!) berichtete, soll neben den vielen Kompromissen in den Hartz-IV-Verhandlungen eine Idee von schwarz-gelb lediglich geprüft, nicht aber revidiert werden: Leben erwachsene Behinderte mit ihren Eltern in einem Haushalt oder in einer WG (z. B. weil sie deren Hilfestellung benötigen), erhalten sie nur noch den Angehörigensatz von 80 %, was rund 70 Euro Verlust bedeutet. Eine Schande, wie Ulrike Winkelmann im „Freitag“ feststellt.
Fauler Kompromiss bei Hartz IV?
Der mühselig gefundene Kompromiss bei den Verhandlungen um eine Regelsatzerhöhung, das Bildungspaket für Kinder und Mindestlöhne stößt weder bei den Betroffenen noch den Sozialverbänden auf Begeisterung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) kritisiert das Ganze als „erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat“, der DGB hat „große Zweifel, ob die Regelsätze den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügen“, nur Ministerin von der Leyen will „sozialpolitische Geschichte“ geschrieben haben (nachzulesen z. B. auf Stern.de). Es bleibt abzuwarten, ob und ggf. in welcher Form das Bundesverfassungsgericht die neue Regelsatzerhöhung noch einmal überprüft – da sie nicht errechnet, sondern politisch ausgehandelt wurde, entspricht sie wohl kaum den Vorgaben des legendären Urteils aus 2010…
Arme LeiharbeiterInnen
Nach einer aktuellen Studie des DGB ist jede/r achte LeiharbeiterIn arm. Nur 1.456 Euro verdienten Leiharbeitskräfte brutto bei einer Vollzeitstelle im Durchschnitt in den alten Ländern und sogar nur 1.224 Euro in Ostdeutschland inkl. Berlin im Jahr 2009, hierfür wurden die Lohnangaben von 500.000 Personen ausgewertet. Mitte 2010 waren aufgrund der geringen Bezahlung rund 92.000 Leiharbeitskräfte auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Ihr Verarmungsrisiko ist damit 4-5 mal größer als in der Gesamtwirtschaft. Der DGB fordert in seinem Fazit daher eine faire Entlohnung nach dem Prinzip gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit.
Mietnomaden Anlass für Verschärfung des Mietrechts?
Im Koalitionsvertrag von 2009 hat die Regierung Verschärfungen des Mietrechts in Aussicht gestellt und dies mit dem Problem der sogenannten Mietnomaden begründet. Eine Studie der Universität Bielefeld, die vom Bundesbauministerium in Auftrag gegeben wurde, hat nun allerdings ergeben, dass es viele, vor allem private, VermieterInnen den BetrügerInnen sehr leicht machen und z. B. die Solvenz der zukünftigen MieterInnen zu wenig prüfen oder ein Räumungsverfahren unnötig in die Länge ziehen. Verschärfungen der rechtlichen Grundlagen seien also nicht nötig, wenn die vorhandenen erst einmal ausgeschöpft würden. Die Gesamtanzahl der Fälle wurde mit der Studie nicht ermittelt, jedoch wurde nur ein Drittel der Fälle, die den ForscherInnen als Mietnomaden signalisiert wurden, als solche eingestuft. Das „gefühlte“ liegt also deutlich über dem tatsächlichen Problem…
Kürzungen in der Arbeitsförderung
Nach einem Bericht des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) gab es 2010 315.225 öffentlich geförderte Beschäftigte im Rechtskreis des SGB II. Davon waren nur 73.425 Jobs sozialversicherungspflichtig (23,3 %). Die geplanten Kürzungen in der Arbeitsförderung werden nach Einschätzung des BIAJ dazu führen, dass die Quote der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nch weiter sinken wird, zumal die 1-Euro-Job-Variante sowohl für Maßnahmeträger als auch die Kommunen finanziell attraktiver ist – für arbeitslose Menschen allerdings nicht…