Wie bereits bei Bekanntwerden des Entwurfs (s. Armutsblog vom 4.12.12) sind die Reaktionen auf den nunmehr im Kabinett abgestimmten 4. Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) der Bundesregierung ein ziemliches Desaster für das zuständige Sozialministerium. Die empörten Reaktionen beziehen sich weniger auf die präsentierte Datenlage als auf den Vorwurf, der Bericht sei „frisiert“ worden – oder wie die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in Spiegel Online zitiert wird: „Vor Fälschung wurde hier nicht zurückgeschreckt“. Geschönt wurde vor allem bei der Interpretation der Daten, so wurde bspw. der doch bedeutsame Befund einer sehr ungleichen Verteilung der Privatvermögen auf den Kommentar zu einer Tabelle im hinteren Teil des Berichts reduziert und in den ausschließlichen Kontext einer Ost-West-Spaltung gestellt. „Peinliche Hofberichterstattung“, findet Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband DPW in einer Pressemitteilung, der Tenor bei den anderen Wohlfahrtsverbänden ist ähnlich. Nun bleibt zu hoffen, dass auch die Befunde selbst es in die Berichterstattung schaffen und Strategien zur Überwindung von Armut und Ungleichheit zum Wahlkampfthema werden.
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Zu wenig soziale Gerechtigkeit in Deutschand?
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach im Auftrag der (neoliberalen) Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zum Thema Gerechtigkeit hat ergeben, dass fast 70 Prozent der Deutschen eine wachsende Gerechtigkeitslücke empfinden. Insgesamt 43 % der 3.000 Befragten sind der Ansicht, dass die Marktwirtschaft zu weniger sozialer Gerechtigkeit führt. Diese wird definiert als vom Lohn für seine Arbeit gut leben können, Chancengleichheit auf eine gute Schulbildung und eine Grundsicherung für Menschen in Not. Chancengerechtigkeit ist den Deutschen nach dieser Umfrage wichtiger als Verteilungsgerechtigkeit.
Link zu den Ergebnissen der Umfrage
Bericht zur regionalen Armutsentwicklung
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat soeben seinen aktuellen Bericht zur regionalen Armutsentwicklung mit den Daten aus 2011 vorgelegt. Die Armutsgefährdungsquote habe seit 2006 stetig zugenommen und befinde sich mit 15,1 Prozent auf einem Höchststand seit der Vereinigung. Als „Problemregionen Nummer eins“ bezeichnet der Verband das Ruhrgebiet und Berlin, die nach ihren Berechnungen die schlechteste Fünf-Jahres-Entwicklung zeigten. So kann der Paritätische Wohlfahrtsverband laut ihrer Pressemitteilung zum Bericht auch nicht den Optimismus der Bundesregierung im aktuellen Entwurf für den amtlichen Armutsbericht teilen. Die Armutsquote sei in 2011 so stark gestiegen wie noch nie zuvor, und für die gesunkene Arbeitslosenquote wird eine „zunehmende Amerikanisierung des Arbeitsmarktes“ wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Armutslöhne verantwortlich gemacht. Der Verband fordert daher ein ein armutspolitisches Sofortprogramm mit u. a. Mindestlöhnen, Mindestrenten und einem Mindestarbeitslosengeld I, einem Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung, einer Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze sowie einer Reform des Wohngeldes.
Schulen in Deutschland weiterhin sozial ungerecht
In den aktuellen internationalen Vergleichen zur Schulleistung von GrundschülerInnen schneidet Deutschalnd besser ab als in den Jahren zuvor. Verringert hat sich bspw. der Abstand zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, und auch die Leistungen insgesamt konnten sich im internationalen Vergleich – wenn auch nur moderat – steigern. Immer noch geht es jedoch sozial ungerecht zu in Deutschland, wo z. B. GrundschülerInnen aufgrund des sozialen Status ihrer Eltern bei gleichen Leistungen unterschiedliche Empfehlungen für den nächsten Schultyp bekommen. Interessant dabei ist, dass es nicht gerechter zugeht, wenn statt der LehrerInnen die Eltern entscheiden können, ob das Kind aufs Gymnasium oder eine andere Schulform gehen wird. So würden sich als bildungsfern bezeichnete Eltern oft scheuen, ihre Kinder trotz guter Leistungen aufs Abitur vorbereiten zu lassen.
Informationen zur Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2011
Informationen zur Studie „Trends in International Mathematics and Science Study (Timss) 2011“
Kontroversen um 4. Armutsbericht der Bundesregierung
Wer den im September kursierenden Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts (s. Armutsblog vo. 26.9.12) mit der jetzigen Kabinettsvorlage vergleicht, kann sich nur die Augen reiben. Wissenschaftliche Befunde zur wachsenden Ungleichheit seien ins Gegenteil verkehrt worden (so die AWO), die Gerechtigkeitsfrage werde nicht mehr gestellt (so die Diakonie) und der Problem- und Handlungsdruck verschleiert (so der DGB). Wer sich selbst ein Bild machen will, liest beide Entwurfsfassungen und/oder die diversen Stellungnahmen der Verbände. Oder amüsiert sich über die vielen Karikaturen in den Zeitungen, die von einer „frisch frisierten“ Arbeitsministerin bis hin zu einer Verfilmung des Armutsberichts „in den Elendsvierteln von Düsseldorf“ reichen.
ARB 4, Kabinettsvorlage
Stellungnahme DGB
Stellungnahme der AWO
Stellungnahme der Diakonie
Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung liegt vor
Der Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung liegt vor und wird derzeit in der Presse sowie Fachöffentlichkeit diskutiert. Die wichtigste Botschaft ist, dass die Ungleichheit in Deutschland wächst. So konzentriert sich das Nettogesamtvermögen auf die Reichen (53 % des Vermögens halten die reichsten 10 % der Bevölkerung, die untersten 50 % der Bevölkerung dagegen haben nur knapp 1 %). Die Armutsgefährdungsquote stabilisiert sich bei 15 %. Zwar sinkt die Zahl der Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen, doch die Zahl der AufstockerInnen („working poor“) wächst. Der Berichtsentwurf ist mehr als 500 Seiten stark, eine Zusammenfassung findet sich auf den Seiten 7-48.
Immer noch weniger Studienchancen für Kinder aus bildungsfernen Familien
Wie eine Studie im Auftrag der Vodafone-Stiftung zeigt, sind die Zugänge zu einem Hochschulstudium immer noch sozial selektiv. Die Chance von AkademikerInnen-Kindern, ein Studium aufzunehmen, ist etwa sechsmal so hoch wie das von Eltern ohne Universitätsabschluss. Die Hochschulberechtigung wird von ArbeiterInnenkindern dabei vor allem über alternative Wege wie die Fachhochschulreife erworben. Das Gymnasium hingegen trägt offenbar nicht zur Chancengerechtigkeit bei.
Bildungserfolge sozial ungerecht verteilt in Deutschland
Der neue Bildungsmonitor der Wirtschaftslobbyisten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) bestätigt vorangegangene Studien anderer Institute, nach denen die Bildungserfolge in Deutschland ungerecht verteilt sind. Während viele Bundesländer mehr AbiturientInnen und StudentInnen vorweisen können als 2011 (bundesweit eine Verbesserung um 9 von insgesamt 100 möglichen Punkten) , wurde die Bildungsarmut (definiert als RisikoschülerInnen und SchulabbrecherInnen) lediglich um 1,5 Punkte verbessert. Auch in der vorschulischen Bildung profitieren vor allem bildungsnahe Haushalte.
Kinderarmut – Unter-Dreijährige am stärksten betroffen
Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt auf, dass die Unter-Dreijährigen in Deutschland am stärksten von Kinderarmut betroffen sind. Gleichzeitig bestehen dabei große Unterschiede zwischen den Bundesländern und einzelnen Regionen Deutschlands. So verzeichnete Sachsen-Anhalt 2010 mit 33,2 % bei den Unter-Dreijährigen die höchste und Bayern mit 10,1 % die geringste Armutsquote, Unter „Kinderarmut“ wurde dabei das Aufwachsen in SGB-II-Haushalten verstanden. Die Bertelsmann-Stiftung weist als Konsequenz u. a. darauf hin, dass mehr Geld für gute Kitas erforderlich ist und in Brennpunkte investiert werden muss, um Chancengleichheit zu ermöglichen.
Neuer Integrationsbericht zeigt weiterhin deutlich erhöhtes Armutsrisiko bei Migrationshintergrund
Wie der zweite „Integrationsindikatorenbericht“ der Bundesregierung zeigt, liegt die Armutsrisikoquote der Bevölkerung mit Migrationshintergrund mit 26,2 % deutlich über der der Gesamtbevölkerung mit 14,5 %. Auch der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer, die auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen sind, sei mit 20,9 % mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (9,4 %), jeweils Stand 2010. Der über 250 Seiten starke Bericht beleuchtet detailliert die Lebenslagen von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Wie die Integrationsbeauftragte Böhmer in ihrem Vorwort feststellt, bestehen noch deutliche Unterschiede zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund, was die Teilhabe angeht. In vielen Bereichen wie der Bildung seien aber auch deutliche Fortschritte erzielt worden .