Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat soeben seinen aktuellen Bericht zur regionalen Armutsentwicklung mit den Daten aus 2011 vorgelegt. Die Armutsgefährdungsquote habe seit 2006 stetig zugenommen und befinde sich mit 15,1 Prozent auf einem Höchststand seit der Vereinigung. Als „Problemregionen Nummer eins“ bezeichnet der Verband das Ruhrgebiet und Berlin, die nach ihren Berechnungen die schlechteste Fünf-Jahres-Entwicklung zeigten. So kann der Paritätische Wohlfahrtsverband laut ihrer Pressemitteilung zum Bericht auch nicht den Optimismus der Bundesregierung im aktuellen Entwurf für den amtlichen Armutsbericht teilen. Die Armutsquote sei in 2011 so stark gestiegen wie noch nie zuvor, und für die gesunkene Arbeitslosenquote wird eine „zunehmende Amerikanisierung des Arbeitsmarktes“ wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Armutslöhne verantwortlich gemacht. Der Verband fordert daher ein ein armutspolitisches Sofortprogramm mit u. a. Mindestlöhnen, Mindestrenten und einem Mindestarbeitslosengeld I, einem Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung, einer Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze sowie einer Reform des Wohngeldes.
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Kontroversen um 4. Armutsbericht der Bundesregierung
Wer den im September kursierenden Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts (s. Armutsblog vo. 26.9.12) mit der jetzigen Kabinettsvorlage vergleicht, kann sich nur die Augen reiben. Wissenschaftliche Befunde zur wachsenden Ungleichheit seien ins Gegenteil verkehrt worden (so die AWO), die Gerechtigkeitsfrage werde nicht mehr gestellt (so die Diakonie) und der Problem- und Handlungsdruck verschleiert (so der DGB). Wer sich selbst ein Bild machen will, liest beide Entwurfsfassungen und/oder die diversen Stellungnahmen der Verbände. Oder amüsiert sich über die vielen Karikaturen in den Zeitungen, die von einer „frisch frisierten“ Arbeitsministerin bis hin zu einer Verfilmung des Armutsberichts „in den Elendsvierteln von Düsseldorf“ reichen.
ARB 4, Kabinettsvorlage
Stellungnahme DGB
Stellungnahme der AWO
Stellungnahme der Diakonie
ArbeitgeberInnen bestätigen Potenziale der Alg-II-BezieherInnen
In einer repräsentativen Studie des Allenbach-Instituts haben zwei Drittel der befragten ArbeitgeberInnen aus den Branchen Pflege, Handwerk und Gastronomie ausgesagt, zufrieden mit den ehemaligen Arbeitslosen zu sein, jede/r Vierte ist sogar sehr zufrieden. In ihrer aktuellen Pressemitteilung (PM) betont daher die Bundesagentur für Arbeit (BA) noch einmal die Potenziale von Arbeitslosen in der Grundsicherung, die stärker genutzt werden müssten. Drei Viertel der Unternehmen bewerteteten ehemalige Alg-II-BezieherInnen als teamfähig, flexibel, zuverlässig, motiviert und qualifiziert.
Jede/r Fünfte in Deutschland betroffen von Armut und Ausgrenzung
Aufgrund mehrerer Armutsberichte dieser Tage kann und sollte Alarm geschlagen werden: Im Rahmen der europäischen Armutsberichterstattung wurde vom Statistischen Bundesamt mitgeteilt, dass 19,9 % der Menschen in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Gemessen wurde dies mithilfe eines Sozialindikators aus Armutsgefährdungsquote (< 60 % des Durchschnittseinkommens zur Verfügung), erheblicher materieller Entbehrung sowie sehr geringer Erwerbsbeteiligung (PM 1). In einer weiteren Pressemitteilung wurde gesondert zu den 15,8 % armutsgefährdeten Menschen darunter Stellung genommen (PM 2). Von einem positiven Trend dagegen berichtet die Bertelsmannstiftung, nämlich dem Absinken der Armutsrisikoquote von Kleinkindern unter drei Jahren auf 8,7 %. Nichtsdestotrotz sind in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen bis zu 34,3 % (Berlin) der Kleinkinder von Armut betroffen. Indikator dieser Erhebung war das Leben in einer Bedarfsgemeinschaft nach SGB II ("Hartz IV"-Bezug).
Link zur Pressemitteilung (PM) 1
Link zur Pressemitteilung (PM) 2
Pressemitteilung der Bertelsmannstiftung
Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung liegt vor
Der Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung liegt vor und wird derzeit in der Presse sowie Fachöffentlichkeit diskutiert. Die wichtigste Botschaft ist, dass die Ungleichheit in Deutschland wächst. So konzentriert sich das Nettogesamtvermögen auf die Reichen (53 % des Vermögens halten die reichsten 10 % der Bevölkerung, die untersten 50 % der Bevölkerung dagegen haben nur knapp 1 %). Die Armutsgefährdungsquote stabilisiert sich bei 15 %. Zwar sinkt die Zahl der Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen, doch die Zahl der AufstockerInnen („working poor“) wächst. Der Berichtsentwurf ist mehr als 500 Seiten stark, eine Zusammenfassung findet sich auf den Seiten 7-48.
Arbeitslosigkeit: Im OECD-Vergleich steht Deutschland gut da
Im Mai 2012 waren lt. neuem OECD-Bericht durchschnittlich 7,9 % der Bevölkerung aller 34 OECD-Länder arbeitslos. Deutschland steht mit einer Arbeitslosenquote von 5,6 % im Vergleich daher gut da. Die OECD begründet die geringere Arbeitslosenquote Deutschlands mit Maßnahmen, die bereits VOR der aktuellen Finanzkrise getroffen wurden – womit nicht die Einführung von Hartz IV gemeint ist! Langzeitarbeitlose gibt es allerdings auch im Ländervergleich noch zu viele, fast jeder 2. Arbeitslose ist länger als ein Jahr ohne Arbeit.
Kritisches Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln
[In Weiterleitung:] Fragen nach der Zukunft einer Gesellschaft, in der Tafeln seit so langer Zeit bestehen, haben dazu geführt, dass sich im Frühjahr 2012 das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ gründete. Ziel ist das gemeinsame Eintreten für eine armutsfeste Mindestsicherung. Damit privat-wohltätige Hilfen wie Tafeln und Suppenküchen tatsächlich überflüssig werden und nicht nur darüber geredet wird. Das Aktionsbündnis hat anlässlich der mittlerweile üblichen Lebensmittelwetten bei Bundestafeltreffen einen offenen Brief verfasst. Aktueller Anlass ist das kommende Bundestafeltreffen im Juni 2012. Der offene Brief wendet sich ausdrücklich gegen die Praxis der Verharmlosung der sozialen Frage durch Wetten auf Lebensmittel. Über das Kontaktformular auf der Webseite können Sie UnterzeichnerIn des Briefes werden.
Strompreise werden für Alg-II-EmpfängerInnen zur Schuldenfalle
Seit 2008 sind die Strompreise um rund 20 Prozent gestiegen. Anders als Miete und Heizkosten muss die Energie in Hartz IV-Haushalten direkt aus dem Arbeitslosengeld II bezahlt werden. Dafür ist im Regelsatz ein bestimmter Betrag vorgesehen. Doch der reicht nicht mehr aus. Viele Bedarfsgemeinschaften werden mit der Jahresendabrechnung von hohen Nachzahlungen überrascht. Die Jobcenter und ARGEN geben zu selten Darlehen, um die Nachforderungen rechtzeitig zu begleichen. Schon 200.000 Hartz IV-EmpfängerInnen wurde deshalb in 2011 der Strom abgestellt, schätzt der Paritätische Gesamtverband. Stromsparen fällt Menschen, die von Arbeitslosengeld II leben und Geringverdienern besonders schwer. Ein 5-minütiger Beitrag von Report Mainz.
Anstieg der Armut bei Erwerbstätigen und Arbeitslosen
Laut Daten des WSI-Forschers Eric Seils ist im europäischen Vergleich sowohl die Armut von Erwerbstätigen als auch von Arbeitslosen in Deutschland überproportional gestiegen. Der Anteil der sogenannten Working Poor stieg zwischen 2004 und 2009 um 2,2 %, die Armutsquote der Arbeitslosen sogar um 29 %. Insgesamt lagen 70 % der Arbeitslosen unter der Armutsgrenze (weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens) – 25 % mehr als im EU-Durchschnitt!
Kinderarmut: Keine Entwarnung!
Wie eine aktuelle Studie des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands (DPWV) belegt, gibt es entgegen anderslautender Statements keine Entwarnung beim Thema Kinderarmut. Zwar lebten Ende 2011 fast 15 % weniger Kinder im Arbeitslosengeld-II-Bezug als noch 2006, dies sei aber auf die Abnahme der Gesamtkinderzahl in Deutschland zurückzuführen. Der Anteil armer Kinder, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, ist weiterhin auf hohem Niveau: Jedes siebte Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV, in Ostdeutschland sogar jedes vierte Kind. Dabei zeichnet sich laut DPWV ein positiver Trend in Ostdeutschland, hier sinkt die Quote sukzessive. Schlusslicht bleibt weiterhin Berlin, hier lebt jedes dritte Kind von Hartz IV. Notwendige Maßnahmen zur Reduzierung der Kinderarmut sind laut DPWV bspw. passgenaue Kinderbetreuungsmöglichkeiten und mehr familienfreundliche Arbeitsplätze.